Liebe Olympia-Befürworter, ihr schimpft auf die Falschen

Feuer und Flamme - Plakat

Liebe enttäuschte Olympia-Befürworter: Ihr schimpft auf die Falschen. Der Senat hat die Olympiabewerbung grob fahrlässig gegen die Wand gefahren. Die Kampagne war oberflächlich und selbstherrlich, den berechtigten kritischen Fragen der Gegner wurde nicht ernsthaft begegnet. Die Offiziellen haben das Plebiszit für einen Selbstläufer gehalten und sich deshalb nicht ins Zeug gelegt.

Ich habe beim Olympia-Referendum mit „Ja“ gestimmt. Doch vor der Abstimmung habe ich mich mit der Entscheidung täglich schwerer getan. In meinem Freundeskreis wuchs Woche um Woche die Zahl der Olympiagegner, von den Befürwortern wagte sich irgendwann keiner mehr ans Licht: Immer lauter wurden die Einwände der Gegner, vage und leise waren die Entgegnungen der Stadt, so wirkten die Pläne der Stadt auf viele schließlich entrückt und zweifelhaft. Am Abstimmungssonntag war es bei mir „Herz über Kopf“ (um es mit Joris zu sagen): Das Herz wollte Olympia, der Kopf schrie: Nein!

Jetzt ist der Senat „so überrascht, wie man nur sein kann“ (Sportsenator Neumann im Interview mit dem NDR) und – wie auch vor der Abstimmung – ziemlich wortkarg, dafür regen sich viele Befürworter der Spiele furchtbar auf. Schuld seien die (wahlweise) „schwachen“, „schwachköpfigen“, „feigen“, „mutlosen“ „Loser“, „Angstmacher“ oder „Krämerseelen“ etc., sprich die Nein-Sager. Die Leute sind enttäuscht, ihr Ärger ist verständlich, doch sind sie schief gewickelt. Die Bewerbung wurde vom Senat gegen die Wand gefahren. Schreit die an.

Ja, die äußeren Umstände waren schwierig, nach FIFA- und DFB-Skandal, Paris und Hannover. Dann noch der schlimme Olympia-Song von Saskia Leppin: Miesester Synthie-Schlager und Textzeilen direkt aus der Hölle („Es zählt jede Stimme / in der schönsten Stadt der Welt / im schönsten Hafen / unterm Sternenzelt“), ein emotionales Fiasko für eigentliche Olympiafreunde wie mich. Doch die größten Probleme des Senats waren hausgemacht. In Hamburg wurde eine massive Werbekampagne gefahren, die so aufdringlich wie oberflächlich war. Sie vermittelte keinerlei Inhalte sondern hohle Slogans. („Das gibt’s nur einmal“, „Wir können nur gewinnen“, „Bei Olympia fackeln wir nicht lange“). Von den Plakaten lächelten reiche Prominente, Leistungssportler und Familien aus vorwiegend gutbürgerlichen Stadtteilen, so entstand neben der ganzen Oberflächlichkeit auch noch das Bild, die Olympischen Spiele sei eher Sache der Sportler und Wohlhabenden.

Ich hatte Interesse an einem Austausch der Argumente. Doch was genau wir „nur gewinnen“ können und wie das zu schaffen ist, konnte ich nicht auf den unzähligen Plakaten und Anzeigen in Stadt und Medien erfahren. Die attraktiven Pläne der Stadt auf dem Grasbrook etwa oder einfache aber wichtige Fakten, wie die Tatsache, dass Hamburg mit den olympischen Spielen einen Hebel für die Stadtentwicklung bekäme, wurden nicht in der Kampagne thematisiert. Wer es genauer wissen wollte, musste selbst aktiv werden. Um Argumente für Olympia zu erfahren, musste man schon im Netz recherchieren oder auf eine der Informationsveranstaltungen gehen, auf der man dann auch die sehr gut vorbereiteten Olympiagegner kennen gelernt hat, die vernünftige Fragen stellten. Die Antworten der Pro-Seite blieben oft allgemein, emotional, unkonkret, abwieglerisch.

Diese Fragen lauteten:

  • Was ist mit dem IOC, ist der nicht korrupt?
  • Unterschreiben wir nicht einen Knebelvertrag?
  • Wieso redet die Stadt von nachhaltigen Spielen, wenn doch der BUND und der NABU genau das bezweifeln?
  • Wie zuverlässig ist die Kostenschätzung und warum hat der Rechnungshof diese bemängelt?
  • Was ist die Antwort des Senats auf die Kritik des Rechnungshofs?
  • Warum haben sich die Stadt und der Bund noch nicht über die Kostenteilung geeinigt?
  • Wie kann der Bürgermeister unter diesen Umständen versprechen, dass es für Hamburg nicht teurer als 1,2 Mrd. Euro wird?
  • Wären diese 1,2 Mrd. Euro nicht besser in andere Projekte investiert, zum Beispiel sozialen/kommunalen Wohnungsbau oder die Bewältigung des Flüchtlingsansturms?
  • Braucht Hamburg ein viertes Kreuzfahrtterminal auf dem Grasbrook?
  • Ist es gut oder schlecht, wenn Hamburg noch bekannter in der Welt wird und mehr Touristen in die Stadt kommen?

Diese Fragen und andere sind von Belang, sie hätten aktiv und offensiv angegangen werden müssen. Manch eine hätte die Pro-Seite sogar als Steilvorlage nutzen können. Es stimmt, dass einige Beteiligte aus der Kampagne Feuer und Flamme genau das getan haben. Nur war ihre Reichweite anscheinend nicht groß genug. Die Grünen haben auf ihrer Seite im Informationsheft der Bürgerschaft zu den offiziellen Wahlunterlagen eine simple und kluge Infografik gedruckt. Sie stellt den einzigen gedruckten Versuch dar, kritisch denkende Menschen umzustimmen, der mir in die Finger gekommen ist. So etwas hätte man auch auf Plakatgröße bringen und statt der „Wir sind Feuer und Flamme“-Botschaft plakatieren können.

Infografik der Grünen aus dem Stellungnahmenheft der Bürgerschaft

Nicht zuletzt sei erwähnt, dass auch Hamburgs größte Medien in dem ganzen Schlamassel eine sehr unrühmliche Rolle gespielt haben. Zu gern möchte ich wissen, ob Schnaps, Druckkostenzuschüsse oder einfach ehrlicher Enthusiasmus die 20-seitige „Zukunfts“-Beilage des Hamburger Abendblatts antrieb. Die Beilage sollte dem Leser verklickern, sie sei im Jahr 2024 nach den gerade beendeten Olympischen Spielen in Hamburg entstanden und in der Zeit zurückgereist. „Wir wollten angesichts des bevorstehenden Volksentscheids über Olympia in Hamburg einmal vorempfinden, wie die Spiele in der Hansestadt sein könnten“, verlautete Chefredakteur Lars Haider über die Funke-Website. Die 20 Seiten sind reinste Olympiawerbung im Kleid ungezügelter redaktioneller Träumerei. Olympia-Bürgermeister Olaf Scholz wurde dort zum Bundeskanzler gemacht, die Spiele waren ein Riesenerfolg, von Kleinigkeiten (Stromausfall, etwas höhere Kosten) mal abgesehen. Noch wilder die BILD Hamburg: Eine ganze Olympia-Jubel-Sonderausgabe steckten sie den Hamburgern ungefragt in den Briefkästen. Auch MOPO und NDR haben sehr viel vorab gefeiert und vergleichsweise wenige kritische Fragen gestellt. Schön und gut, wenn man Konzept und Wunschträume der Stadt darstellt, doch hätten die Medien diese auf Herz und Nieren prüfen sollen, gerne mit Haltung und Meinung, aber alles in allem als unparteiisches Organ. Statt dessen wurde so laut für Olympia trompetet, dass es manchen kritischen Geist von pro nach contra gepustet hat.

Auch die meisten großen Hamburger Firmen und die stadteigenen Betriebe waren sich nicht zu schade, die stumpfe Werbetrommel des Senats mit zu rühren. Bei Budnikowsky, bei Edeka und beim allgegenwärtigen HVV grüßten Feuer und Flamme von jedem Bus, an jedem Kühlregal: Große Verbrüderung mit der Idee von Spielen in Hamburg. Nur Argumente: Fehlanzeige.

Edeka fackelt nicht lange

So lautete also anscheinend die PR-Strategie des Senats: vielviel plakatieren, wenig argumentieren. Ansonsten alle an Bord holen, die wir zu fassen kriegen, die Medien die Jubelberichterstattung machen lassen und dann: Wird schon!

Wurde aber nicht. Die Bürger hatten die Wahl, ein Wahlkampf fand jedoch nur von Seiten der Olympiagegner statt. Hamburgs verantwortliche Politiker haben darauf verzichtet.

Eine schöne Erkenntnis dieser Tage ist: Nicht der, der am lautesten brüllt, bekommt die Stimmen der Bürger. Sondern der, dem die Bürger vertrauen. Der Senat war es in dieser Angelegenheit nicht.


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Kommentare

4 Antworten zu „Liebe Olympia-Befürworter, ihr schimpft auf die Falschen“

  1. Paula

    Eine sehr schöne Analyse, die nicht – wie nun so häufig zu lesen – auf Wählerbeschimpfung setzt, sondern sich mit den Ursachen des Scheiterns der Pro-Olympiakampagne auseinander setzt. Danke!
    Als jemand, der auf vielen Olympiaveranstaltungen des Senats war, kann ich bestätigen: Die Bedenken der Anwohner wurden weggewischt und zum Teil lächerlich gemacht. Besonders abgehoben war Jörn Walter, der nicht verstanden hat, dass sein Bild von der „Blaupause Hafencity“ für die Olympiacity bei den Bewohnern auf der Veddel mehr als Drohung ankommt denn als attraktives Angebot.

  2. In den heutigen Nachrichten wir behauptet, wir sind notorische NEIN“ Sager, was leider so nicht stimmt !! Wer so eine Senatspolitik macht, wie mit Olympia, der sollte diese Arbeit noch mals über denken !! Es kann nicht sein, das die Olympiabewerbung da für herhalten muß, was Hamburg seit mehr als 15 bis 20 Jahre versäumt hat !! Sie lassen die Sportstätten verkommen, sie lassen die Alsterschwimmhalle verkommen, und vieles mehr !! Es kann nicht sein, das all diese Fehler seit Jahren nicht erkannt wurden !! Weiter hin hat dieser SPD Senat nur den Sport in den Vordergrund gestellt, statt alle Bürger-innen mit zu nehmen . Weiter hin wurde der Bund zu spät informiert, das geht so gar nicht !! Ich frage mich, wie so der jetzige Senat nicht mal zu gibt, welche Fehler von ihnen gemacht wurden !! Es kann nicht sein, das man etwas entwirft, und meint, wir werden schon alle zustimmen !! Ich bin seit vielen Jahren in bestimmte Soziale Entwicklungsräume tätig, aber auch wir bekommen nicht alles, was ein Stadtteil voran bringen könnte !! Weiter hin muß Olaf Scholz erkennen, das auch er Fehler gemacht hat, und nicht das alles auf bestimmte Vorkommnisse schiebt !!
    In diesem Sinn, E. Heeder – Erich Heeder – Stadtteilkünstler-Objekte-Performer-Autor-und Dichter

  3. Juli Köhler

    Lese die MOPO regelmäßig morgens in der Bahn, die waren doch tendenziell ziemlich kritisch in Sachen Olympia?

    1. mpetersen

      Danke für den Hinweis. Ich habe der Mopo und auch dem NDR insofern Unrecht getan, als dass die Berichterstattung ausgewogener war, als ich es wahrgenommen hatte. Habe den Text editiert.