(Reportage) Für Zeit Online habe ich den Save Democracy Hackday im Hamburger Schanzenviertel besucht.
Was tun gegen Populismus und rechte Hetze? Auf den Save Democracy Hackdays im Hamburger Schanzenviertel sucht man Lösungen. Das ist kompliziert – aber es gibt schon eine Erfolgsstory.
Von Martin Petersen. Veröffentlicht am 20.02. 2017 – Zum Artikel auf ZEIT Online
Einen Tag lang tüfteln an praktischen Antworten auf den Populismus. Mit dieser Aussicht steigen an einem Samstagmorgen im Februar etwa einhundert Menschen in Hamburg aus dem Bett. Es ist Save Democracy Hackday. Um 9 Uhr treffen sie im Betahaus ein, einem Co-Working-Space in der Eifflerstraße: Frauen wie Männer, mehrheitlich junge Berufstätige der sogenannten kreativen Branchen, darunter auffällig viele Journalisten, Studenten, vereinzelt auch Menschen über vierzig. Am Eingang liegen ein Edding und eine Rolle Kreppklebeband, damit sie ihre Namen auf der Brust tragen können. Sie kennen sich nicht, aber duzen sich.
Valentin Heyde ist Organisationsberater und einer der acht Gastgeber des Camps. „Viele der Anwesenden wären vor einem Jahr überhaupt nicht für solch eine Veranstaltung zu mobilisieren gewesen“, sagt er. „Sie wurden, wie ich auch, von den Ereignissen des Jahres 2016 überrascht.“
Fragt man die neuen Aktivisten nach ihrem Antrieb, bekommt man meist die gleiche Antwort: Erst war da der Schock durch den Erfolg von Lügen und Verzerrungen beim Brexit-Referendum und die damit verbundene Erkenntnis, dass es sich nicht um einen Einzelfall handeln muss. Am Ende stand der kaum für möglich gehaltene Unfall für alle Nichtpopulisten, Donald Trumps Sieg in der US-Wahl. „Ich habe den Brexit live in England erlebt“, sagt Janina aus der Werbebranche. „Es war ein totaler Schock, auch für die Briten, mit denen ich lebte. Jetzt muss ich etwas tun, bevor Populisten auch bei uns Schäden anrichten oder die Macht übernehmen.“ Die Motivation ist bei allen Anwesenden ausgesprochen hoch. Save Democracy Hackday, dieser Titel wirkt großspurig – aber genau darum geht es den Menschen hier: Sie wollen die Demokratie retten.
„App gegen rechte Dösbaddel“
Nach dem ersten Kaffee werden Projektideen vorgestellt. Der Begriff Hackday entstammt der Programmiererszene, und will sagen, dass heute an Lösungsansätzen gearbeitet werden soll, möglichst mit einem konkreten Ergebnis am Ende des Tages. Also wagen sich sechsundzwanzig Ideengeber auf die Bühne und werben um Teilnehmer für ein- bis zweistündige Sessions am heutigen Tag. Ihre Ansätze, die Demokratie zu retten, sind ganz unterschiedlich.
Mehrere Ideen drehen sich um die Frage, wie man Filterblasen auflöst und mit Menschen, die anders denken, ins Gespräch kommt – und wie man Rechtspopulisten eventuell bekehren kann.
Die Journalistin Mareike (die auch für ZEIT ONLINE schreibt) etwa hat auf Facebook angekündigt, eine Jugendbewegung zu gründen. Dafür hat sie bereits zahlreiche Mitstreiter eingesammelt und will durch Deutschland reisen, um im Dialog etwas zu bewegen. Andere wollen protestieren: Kaja, Coach für Frauen, plant einen Sisters‘ March in Hamburg für „uneingeschränkte Gleichberechtigung und die Erhaltung der demokratischen Grundwerte“. Drei Studenten, die vor wenigen Wochen eine Demo vor dem US-Konsulat auf die Beine gestellt haben, möchten ein Demo-Kit entwickeln, mit dem man spontan auf politische Ereignisse reagieren kann. Zwei aus Berlin Angereiste wollen eine „völlig neue Art von Partei“ gründen, die immun gegen Korruption und Lobbyismus ist, und mit dieser zur Bundestagswahl antreten.
Christoph ist Autor und Berater, er hat ein Buch über die neue Rechte geschrieben und bietet heute zum gleichen Thema eine Informationsveranstaltung an. Hinter Trump und der AfD steckten Strategien, die man verstehen und auf die man reagieren könne, sagt er. Außerdem hat er eine praktische Idee vom letzten Save Democracy Hackday mitgebracht: eine App, die humorvoll und spielerisch helfen soll, argumentationssicher gegen rechte Parolen zu werden. Arbeitstitel: RINDER, die App gegen rechte Dösbaddel.
„Gut zu wissen, dass man nicht allein ist“
Auch der Chaos Computer Club (CCC) ist dieses Mal mit von der Partie. Zwei Clubmitglieder briefen die zukünftigen Aktivisten in zwei Sessions zum Thema „wie kann ich mich schützen“. Wer politisch aktiv wird, tritt schließlich anderen auf die Füße. Daher gilt es, seine Kommunikation, seine Daten, Identitäten und Beziehungsgeflechte besonders zu schützen. Auch gegen staatlichen Zugriff. „Wer weiß, wie demokratisch Deutschland in fünf oder zehn Jahren ist“, gibt eine Zuhörerin zu bedenken. Sie macht eine Pause, man kann sich nun einige Szenarien ausmalen. Dann sagt sie: „In dem Moment sind wir alle am Arsch.“
Die Demokratie lässt sich nicht an einem Tag retten und nicht bei jedem Teilnehmer überlebt die anfängliche Motivation die ersten zwei Stunden Projektarbeit. „Die Idee, eine Partei zu gründen, ist gut“, sagt die 30-jährige Projektmanagerin Kathrin. „Aber die Projektleiter sind ja noch ganz am Anfang, reden immer von ‚wir‘, bieten aber überhaupt nichts an. Das könnte knapp werden zur Bundestagswahl. Ich weiß nicht, ob das nicht – genau wie diese ganze Veranstaltung – ins Leere läuft.“
Mehrere Aktivisten berichten in der Mittagspause, dass ihre Projekte größer seien als sie dachten, oder zu wenig konkret, sodass sie ihnen mehr Engagement abverlangen würden, als sie geben können. Der guten Stimmung tut das keinen Abbruch: „Es ist auf jeden Fall schon mal gut zu wissen, dass man nicht allein ist“, sagt die Künstlerin Gloria. So wie sie äußern sich viele.
Party zum Plakate- und Bannermalen
Richtig gut läuft es hingegen in den Gruppen, deren Gründer schon vorgearbeitet haben und eine konkrete Idee mit Zeitplan und überschaubare Aufgaben präsentieren können. In Christophs Gruppe zum Beispiel. Er versammelt am Spätnachmittag neun an seiner App gegen rechte Dösbaddel Interessierte in einem kleinen Raum. Hier soll es heute darum gehen, Dos and Don’ts für die Reaktion auf rechtspopulistische Meinungsäußerungen zu entwickeln. Knapp, in verständlicher Sprache, ansprechend gestaltet, damit man sie über die sozialen Netzwerke verbreiten kann. Nach knapp zwei Stunden sind die Teilnehmer erschöpft, aber zufrieden mit ihrem Ergebnis. Die Gruppe hat einen Chat gegründet, um in Kontakt zu bleiben und weiter bei der App-Entwicklung zu helfen.
Auch Kaja hat die nächsten Schritte für ihre Demobewegung Sisters‘ March schon geplant: ein nächstes Arbeitstreffen, dann eine Party zum Plakate- und Bannermalen. Erstes Zwischenziel: am 8. März zum internationalen Frauentag vor dem Rathaus aufmarschieren, „mindestens 1.000 Menschen“ will sie zusammenbringen. Und ihre Vision ist deutlich größer: „Zum G20-Gipfel wollen wir in den siebenstelligen Bereich.“ Viereinhalb Monate Zeit hat ihre Bewegung, um die Million vollzumachen – das darf man ambitioniert nennen.
Doch man sollte solche Pläne nicht leichtfertig als unrealistisch abstempeln, denn das Save Democracy Camp hat bereits eine Erfolgsstory zu vermelden. Hannes Ley etwa stellte beim letzten Hackday im Januar seine Gruppe #ichbinhier vor, eine überparteiliche Aktionsgruppe gegen Hetze in den sozialen Medien. Er suchte neue Mitglieder, die sich auch als Moderatoren aktiv einbringen. Auf Facebook zählt ihre Gruppe im Januar knapp 1.600 Personen, die der Wut und Brutalität der rechtspopulistischen Kommentare in den digitalen Medien etwas entgegenzusetzen versuchten, als Taskforce gegen „Hass, Beleidigung, Respektlosigkeit, Lüge, Sexismus und Destruktion“, wie Ley es ausdrückte.
„Lieber gezielte Aktionen unterstützen“
Inzwischen hat die Gruppe die 20.000-Mitglieder-Marke geknackt und ist durchaus in der Lage, dort, wo der digitale Mob ganz schlimm wütet, mit besonnenen Äußerungen und Fakten das Ruder herumzureißen. Ihre Aktivität hat bereits bundesweit mediale Aufmerksamkeit generiert.
Am Ende des dritten Save Democracy Hackday sind die Teilnehmer sichtlich müde und wollen schnell nach Hause. Die Designerin Judith zieht ein gemischtes Fazit. „Dass so viele Menschen Lust haben, ein halbes Wochenende diesem Zweck zu widmen, hat mir Mut gemacht“, sagt sie. „Viele der Anregungen, die ich mitgenommen habe, kamen von den anderen Teilnehmern, nicht unbedingt nur von den Projektleitern. Ich würde gern wieder hingehen.“ Und sie ergänzt, dass sie etwas über sich selbst gelernt habe: „Wenn jemand sich vornimmt, das gesamte politische System aufzurütteln, Dialog zu ermöglichen, eine Plattform zu gründen, ist das zwar löblich und unterstützenswert, mir persönlich aber zu schwammig. Ich möchte lieber ganz gezielte Aktionen unterstützen und damit Konkretes erreichen.“
Wie bei den beiden vergangenen Veranstaltungen wird es auch dieses Mal einige Gruppen geben, die sich verfestigen, andere, die sich nach dem Hackday wieder auflösen. „Wir werden das Save Democracy Camp fortführen“, sagt Valentin Heyde, „denn man muss am Ball bleiben.“ Die nächste Veranstaltung ist für den 26. März geplant.