Andy Grote, der St.-Pauli-Senator

(Analyse für ZEIT Online) Andy Grote ist neuer Innensenator in Hamburg. Die Opposition spottet: Das einzige, was ihn auszeichnet, sei seine Kiez-Erfahrung. Ob das für den Posten ein Nachteil ist?

Von Martin Petersen. Veröffentlicht am 22.01.2016 – Zum Artikel auf ZEIT Online

Da lachten die CDU-Abgeordneten und auch andere Fraktionen weiter rechts in der Hamburgischen Bürgerschaft klatschten: CDU-Fraktionschef André Trepoll hatte gerade einen bissigen Gruß an den neuen Innensenator Andy Grote geschickt. Das Einzige, was Grote auszeichne, so Trepoll, sei dessen „einschlägige Kiez-Erfahrung.“

Ein Sankt Paulianer an der Spitze der Innenbehörde? Das will einigen in Hamburg nicht ins Konzept passen. Natürlich, die Personalie ist überraschend, für die CDU nicht weniger als für die Menschen auf dem Kiez. Aber: Ist dadurch wirklich die Innere Sicherheit der Stadt in Gefahr oder liegt sie etwa schon „am Boden“, wie es der AfD-Abgeordnete Kruse in derselben Sitzung vermutete? Wohl kaum.

Zweifellos: Der neue Innensenator trägt manchmal Kapuzenpulli und St.-Pauli-Schal unter dem Sakko und er mischt sich auch gern unter Kiezgestalten. Wenn er seinen Gewohnheiten treu bleibt, wird er beim nächsten Heimspiel am Millerntor wieder seinen Stammplatz auf der Gegengeraden einnehmen. Oder er wird sich an freien Abenden in die Traditionskneipe Zum Silbersack setzen, für deren Tresenmannschaft er auch schon einmal als Stürmer auflief.

Auch die linksradikale Szene ist auf St. Pauli verankert

Grote sah weder als Abgeordneter der Bürgerschaft noch als Bezirksamtsleiter Gründe, warum es für ihn schlecht sein könnte, sich mit Gentrifizierungsgegnern und Anwohnerinitiativen an einen Tisch zu setzen. „Wenn man als Abgeordneter für einen Stadtteil steht, dann will man auch die kritischen Stimmen kennen“, sagte Grote dazu.

Damit ist Grotes Kiezerfahrung noch nicht zu Ende erzählt. Schon seit 15 Jahren wohnt er in dem Viertel, er hatte vier Jahre lang sein Abgeordnetenbüro in der Clemens-Schulz-Straße. Grote pflegt gute Kontakte zu Bauunternehmen und Entscheidern in Wirtschaft und Politik – und zu Clubbetreibern und Schankwirten. Fragt man unter ihnen nach, dann schätzen sie ihn in der Regel als nahbaren und engagierten Arbeiter, der hält, was er verspricht. Er ist das, was man einen lokal gut vernetzten Politiker nennt.

Reicht Kiez-Erfahrung aus, um als Innensenator erfolgreich zu sein? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich klarmachen, dass St. Pauli kein beschauliches Viertel am Stadtrand ist. Es ist regelmäßig Schauplatz größerer Herausforderungen. Das haben gerade erst wieder die Auseinandersetzungen zwischen den Rockerbanden Mongols und Hells Angels deutlich gemacht. Oder die in der Silvesternacht eskalierten Übergriffe auf Frauen. Auch die linksradikale Szene, mit der die Staatsgewalt regelmäßig aneinandergerät, ist in diesem Stadtteil stark verankert.

Es ist naheliegend, dass es vor diesem Hintergrund ein Vorteil für einen Innensenator ist, wenn er das Gebiet und die Leute kennt.

Grote hat auf dem Kiez aber nicht nur gelernt, zuzuhören und zu beobachten. Als Leiter des Bezirksamts Mitte sorgte er dafür, dass die Bewohner der über Nacht geräumten Esso-Häuser in Ersatzwohnungen untergebracht wurden. Er handelte in den Wochen danach in zähen Verhandlungen zwischen Anwohnerinitiativen, Clubs und Grundeigentümern eine Neubaulösung aus, die alle Seiten ausdrücklich lobten. Ein Engagement, das Grotes Talent als Vermittler verdeutlicht.

Viel Aufmerksamkeit und jede Menge Kritik

Es ist etwas länger als zwei Jahre her, dass Michael Neumann, Grotes Vorgänger als Innensenator, auf St. Pauli ein „Gefahrengebiet“ einrichtete, weil er zu starke Proteste fürchtete. Damit brachte er nicht nur die linke Szene, sondern auch die meisten Anwohner des Stadtteils gegen sich auf. Eine Episode, die Hamburg vermutlich erspart geblieben wäre, wenn Grote schon damals Innensenator gewesen wäre. Im Gespräch mit dem Stadtlichh-Magazin sagte Grote im selben Jahr, man hätte vielleicht „menschlich sensibler“ mit der gesamten Situation umgehen können.

Recht hat die CDU, wenn sie kritisiert, dass Grote sich bislang nicht auf dem Feld der Innenpolitik hervorgetan hat: Er ist Stadtentwicklungsexperte. Der Posten des Innensenators bringt schwierige Aufgaben mit sich, dazu viel Aufmerksamkeit und sicher noch jede Menge Kritik, die schärfer ausfallen wird als die von Trepoll in der Bürgerschaft. Doch was Grote dabei sicher nicht im Weg stehen wird, ist seine Kiez-Erfahrung – im Gegenteil.

Spannender erscheint da die Frage, wie die linksalternative Szene damit umgeht, dass jetzt bei jedem St.-Pauli-Spiel der Innensenator anwesend sein könnte. Droht eine Spaltung in Grote-Fans und Grote-Hasser? Nicht zwingend, wenn man bedenkt, wie der Kiez-Verein mit Fabian Boll umgegangen ist. Der war nicht nur Mannschaftskapitän, sondern als Halbtagspolizeibeamter auch für die Innere Sicherheit der Stadt zuständig, und wurde verehrt.

Andy Grote 2014 bei einem Gespräch mit dem STADTLICHH Magazin. Damals war er Bezirksamtsleiter Hamburg-Mitte (c) Roeler / roeler.com
Andy Grote 2014 bei einem Gespräch mit dem STADTLICHH Magazin. Damals war er Bezirksamtsleiter Hamburg-Mitte
(c) Roeler / roeler.com

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