Deutschland schickt nun Flugzeuge, eine Fregatte und bis zu 1.200 Mann in den Kampf gegen Daisch („IS“). Der Einsatz hat in erster Linie symbolischen Wert und ist auch ein Versuch, Frankreich und Europa vor dem Front National zu retten.
„Die schwersten Herausforderungen an Europa kommen zu einer Zeit, wo Europa in der schlechtesten Verfassung seit seinem Bestehen ist“, beginnt Norbert Röttgen (CDU) seinen Redebeitrag. Es ist Freitag, der 04.12.2015, nach dieser hundertminütigen Aussprache wird der Bundestag mit großer Mehrheit den Syrien-Einsatz von sechs Aufklärungs-Tornados, einer Fregatte, einem Tankflugzeug und bis zu 1.200 Mann beschließen.
Ursprung von Beschluss und Debatte liegen nur acht Tage zurück: Am 25.11. ließ Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande die Bundeskanzlerin wissen, dass es ein sehr gutes Signal wäre, wenn Deutschland noch mehr als bisher im Kampf gegen Daisch („IS“) täte. Merkel versprach, sich Gedanken zu machen.
CDU-Redner Röttgen hat Recht, wir befinden uns mitten in einer grundsätzlichen Krise der Europäischen Union. Auf die Euro-Krise folgte die Flüchtlingskrise, Europa hat beide Male kein gutes Bild abgegeben sondern sich aufs Schlimmste gezankt. Auch Deutschland und Frankreich, die beiden größten und wichtigsten Nationen der EU, waren nicht oft einer Meinung, doch sie übten immer wieder demonstrativ den Schulterschluss. Zu wichtig das gemeinsame Projekt Europa, zu gefährlich der überall aufkeimende Nationalismus, um nicht gemeinsam Sache zu demonstrieren. Deutschland und Frankreich sind so etwas wie die letzte verbleibende Konstante Europas. Sollte eines der beiden Kernländer der EU aus dem Schulterschluss ausscheren, wäre die Europäische Union wohl irreparabel beschädigt, die Europäische Idee zu Grabe getragen.
„Europa ist in keiner guten Verfassung“, konstatiert wenige Minuten nach Röttgen auch Rainer Arnold (SPD). „Wenn die enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich in die Brüche geht, weil wir nicht verstehen, unter welchem innen- und außenpolitischen Druck die Franzosen stehen, und ihnen nein sagen, dann haben wir eine Situation, die es in Europa noch schwieriger machen wird, Solidarität in vielen Fragen einzufordern.“
Hier bringt Arnold auf den Punkt, was tatsächlich hinter der schnellen Entscheidung für die Unterstützung der französischen Angriffe steht. Es geht um Europa und ganz konkret um die Stärkung der französischen Regierung gegen die bedrohlich starken französischen Rechten vom Front National, die gerade stärkste Partei der Regionalwahlen geworden sind.
Zu der Frage des militärischen Nutzens des deutschen Eingreifens sei zweierlei gesagt.
Erstens: Die Franzosen könnten ihre Bomben auch ohne unsere Aufklärung und Luftbetankung abwerfen, ihren Flugzeugträger auch ohne unsere Fregatte „Augsburg“ schützen, jedoch stellt zumindest die deutsche Aufklärungstechnologie (Recce-Tornados und SAR „Lupe“) nach verschiedenen Einschätzungen eine Verbesserung des vor Ort Vorhandenen dar.
Zweitens: Entscheidend für den militärischen Nutzen ist aber, da es sich nur um eine Unterstützung von Angriffen handelt, dass die Angriffe selbst nützlich sind. Das ist zumindest stark umstritten. Alle Fraktionen im Bundestag sind sich in der Debatte einig, dass militärisches Engagement – zudem aus der Luft – den Bürgerkrieg in Syrien nicht beenden wird und Terrorangriffe in Europa nicht weniger wahrscheinlich macht. „Ohne Politik macht Militär keinen Sinn“ sagt CDU-Abgeordeter Röttgen, um zu ergänzen, „aber auch ohne militärische Präsenz des Westens in Syrien und im Irak wird die Diplomatie keine Chance haben.“ Bestenfalls, so die Hoffnung der CDU/CSU, drängen sie Daisch (den „IS“) zurück und erleichtern Territorialgewinne der mit Daisch („IS“) konkurrierenden Gruppen einschließlich der Kurden – aber auch der syrischen Regierungstruppen. Schlimmstenfalls, so die Befürchtung von Sarah Wagenknecht (Die Linke), verpufft ihre militärische Wirkung und sie liefert dem IS Propagandamaterial, neue Kämpfer, tötet womöglich Zivilisten und rückt Deutschland als Terrorziel noch weiter nach oben. Den Grünen geht die Entscheidung zu schnell: „Wir teilen ihren Impuls, jetzt zu handeln […], doch wir brauchen einen guten Plan mit dieser Mission, und den gibt es leider nicht“, sagt Grünen-Fraktionsvorsitzender Anton Hofreiter.
Merkel jedoch, die geübte Taktikerin, muss die Fliehkräfte in der EU bändigen – und hat erkannt, dass ein schneller Kampfeintritt an Frankreichs Seite eine große symbolische Wirkung hat. Diese wird auch zunächst die größte Wirkung des Einsatzes bleiben.
Mit dem Beschluss vom 04.12. haben wir also eine neue Situation: Einen deutschen Kampfeinsatz mit ungewissem Nutzen, ungewissem Ausgang und ungewisser Dauer. Es ist zudem der erste Einsatz überhaupt auf Basis der Europäischen Verträge, nämlich der EU-Beistandsklausel (Artikel 42, Absatz 7 des Vertrages über die Europäische Union).
Dadurch wird der gemeinsame Einsatz ein erster Schritt zu einer Europäisierung der Konfliktzone Mittlerer Osten sein. Die USA werden diese Entwicklung dankbar beobachten, denn die kriegsmüden Amerikaner könnten sich in Zukunft weiter aus der Region zurückziehen, die sie mit dem Einmarsch in den Irak und den darauffolgenden schweren Fehlern während der Besatzungszeit überhaupt erst so furchtbar in Brand gesetzt haben. Interessanterweise behalten sie zunächst den Oberbefehl – auch über die deutschen Einsätze in Syrien, denn die Mission wird aus dem CENTCOM in Florida befehligt.
Für Europa kann dieser Wandel aber auch eine Chance sein, es im Mittleren Osten besser zu machen als die USA, durch den vorrangigen Einsatz geschickter Diplomatie. Die muss sich jetzt besonders ins Zeug legen, um nachzuliefern, was dem eilig vorbereiteten Kampfeinsatz fehlt: ein politisches Konzept. Denn wozu Kampfeinsätze ohne politisches Konzept führen können, hat man ja im Irak bereits erlebt. Lasst uns alle Daumen drücken für Außenminister Steinmeier und die ausgesprochen schwierigen Wiener Gespräche, auf dass alle Kämpfe in Syrien und dem Irak in naher Zukunft ein Ende finden können.